Bei der weiteren Bekämpfung des Corona-Virus knüpft die Politik nach der Bundestagswahl nahtlos an den gewohnt ungeordneten  Kommunikationsstil an: Die Öffentlichkeit ist eher verwirrt als informiert über die jetzt im Herbst und Winter notwendigen Maßnahmen. Nicht nur den Hausärzten erschwert das erneut die eigentliche Arbeit. Bis aus der Pandemie eine „handhabbare Viruserkrankung“ wird wie die Grippe (O-Ton Dr. Özlem Türeci von BioNTech), dürfte es noch geraume Zeit dauern. Klar ist: Die vierte Welle ist da, die Pandemie ist noch lange nicht vorbei.

Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) spricht von „wenig hilfreichen Vorschlägen der Berliner Politik, die ein sortiertes Vorgehen analog der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission konterkarieren“. Die Öffentlichkeit debattiere wieder wild über das richtige Vorgehen bei der Booster-Impfung. „Dabei haben unsere Ärztinnen und Ärzte längst mit dem Impfen begonnen und legen ein beachtliches Tempo vor“, so der Vorstand der KVWL. Allein in der vergangenen Woche (KW 43) wurden danach in Westfalen-Lippe rund 46.000 Auffrischungsimpfungen durchgeführt, eine Woche zuvor waren es noch rund 26.000.

Kontraproduktiv sei es, gerade jetzt, wo das Impfgeschehen in den Praxen rund um die Booster-Impfung an Fahrt gewinne, mit der Wiedereröffnung der Impfzentren nach nur vier Wochen wieder eine erneute Kehrtwende zu fordern. „Das ist unverhältnismäßig und es besteht auch absolut keine Notwendigkeit für ein solches Vorgehen. Unsere Praxen können boostern und tun es auch!“, erklärt die KVWL.Zudem tue man gut daran, stringent den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu folgen, um ein klares, gezieltes Vorgehen beizubehalten. Die Rahmenbedingungen müssten zudem stimmen: Flexiblere und vor allem schnellere Möglichkeiten bei der Bestellung des Impfstoffes seien dabei unabdingbar. Wohl eine Andeutung, dass hier immer noch nicht alles rund läuft.

Zum aktuellen Corona-Krisenmanagement kann generell gesagt werden: Angesichts der angespannten Corona-Lage in Deutschland ringen Politik und Gesundheitsexperten um zusätzlichen Schutz für den Winter. Trotz der laufenden,  mehrere Millionen umfassenden, weiteren Auffrischungsimpfungen („Booster“)  durch Hausärzte – allerdings vorerst für gefährdete Menschen unter anderem ab 70 Jahre gemäß einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), dringt der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weiter auf Impf-Verstärkungen auf breiterer Front schon für alle über 60. In ersten Bundesländern kommen wegen kritischer Infektionszahlen weitergehende Auflagen vor allem für Menschen, die nicht geimpft sind.

Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens betonte, es komme nun darauf an, die Menschen zuerst per „Booster“ zu schützen, die es am dringendsten benötigten. Gesunde mittleren Alters mit Grundimmunisierung könnten davon ausgehen, dass sie noch ausreichend Schutz vor einer schweren Covid-19-Erkrankung haben. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Martin Scherer, stärkte der Stiko den Rücken. Es sei wichtig, nach deren Empfehlung vorzugehen. Vorpreschen der Politik löse zeitfressende Diskussionen in Praxen aus. Nötig sei „Ruhe im System“, damit Ärzte ihre Arbeit tun könnten.

Derweil äußerte sich Dr. Özlem Türeci von der Mainzer BioNTech, der mit Dr. Ugur Sahin den ersten Impfstoff gegen den Coronavirus entwickelt hatte, zur Perspektive auf ein Ende der Pandemie.  Das sei eine schwierige Frage, „weil wir ja jeden Tag Neues über das Virus lernen, etwa, wie es auf Impfungen reagiert. Dieses Wissen ist notwendig, um beurteilen zu können, wann die Pandemie vorbei sein wird. Aber was man sicherlich schon jetzt sagen kann, ist, dass schrittweise eine neue Normalität eintreten wird. Das fühlen wir ja jetzt schon.“

Es werde eine Normalität eintreten, in der auf der Basis der Immunität weite Teile der Bevölkerung freier agieren können. Wir werden sicherlich noch ein paar Jahre mit dem Virus zu tun haben, so Dr. Türeci gegenüber dem Mediendienst DW Made for minds. Dabei würden auch Antworten auf die Fragen gefunden werden, die bisher noch unklar seien. Die Zukunft werde zum Beispiel zeigen, ob weitere Virusvarianten auftreten werden, die gegen die bisherigen Impfungen immun sind, und ob Impfungsanpassungen erfolgen müssten. Das Virus werde aber im Laufe der Jahre etwa den Status bekommen, den wir schon vom Grippevirus kennen würden, gegen das sich dann einige Bevölkerungsgruppen jährlich oder zweijährlich impfen lassen werden, andere nicht. Corona werde eine handhabbare Viruserkrankung werden.

Dr. Sahin sagte auf die Frage, ob sie Verständnis dafür habe, wenn Impfskeptiker und -verweigerer sagten, es gehe um eine neue Technologie, von der man noch nicht wisse, welche Spätfolgen sie haben könne:  „Wir verstehen das. Es ist aber auf der anderen Seite auch so, dass Impfstoffe grundsätzlich sehr, sehr gut vertragen werden, das gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Menschheit. Ohne Impfstoffe hätte sich unsere Gesellschaft nicht so weit entwickeln können, wie sie heute ist. Und unser Impfstoff beruht zwar auf einer neuen Technologie, aber die haben wir gut verstanden, denn diese Technologie gibt es ja schon seit 30 Jahren. Unser Impfstoff ist nicht einfach so aufgetaucht, sondern er beruht auf einem Biomolekül, das in unserem Körper, in jeder Körperzelle ist. Wir bringen da nichts Fremdes ein und haben dafür eine sehr gute wissenschaftliche Grundlage, weil seit über 30 Jahren in die entsprechende Forschung investiert worden ist. Deshalb konnte unser Impfstoff so schnell entwickelt werden.“

Dr. Özlem Türeci und Dr. Ugur Sahin sind die Gründer der Mainzer Firma BioNTech. Sie wurden am 13.10.2021 in Thessaloniki von der griechischen Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou für die Entwicklung des ersten Impfstoffs gegen das Coronavirus mit dem diesjährigen Kaiserin-Theophanu-Preis ausgezeichnet

https://www.dw.com/de/corona-wird-eine-handhabbare-viruserkrankung-werden/a-59639574?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Quellen: KVWL, dpa, Mediendienst DW Made for minds, Bild: pixabay