Bei der Beratung von impfkritischen Eltern werde er selber die neuen Erkenntnisse einsetzen, so ein Kinderarzt laut Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Denn was bisher paradox war, ist jetzt wohl wissenschaftlich schlüssig: Menschen, die Masern durchgemacht haben, sind zwar lebenslang vor dem Virus geschützt. Aber gleichzeitig schwächeln deren Abwehrkräfte bei anderen Krankheitserregern– und das auch noch zwei bis drei Jahre nach überstandenen Masern.

Das hatte bereits vor vier Jahren eine epidemologische Studie aus England, den USA und Dänemark gezeigt. Wie dieser Kollateralschaden zustande kommt, hat man bisher kaum verstanden. Zwei neue Studien, veröffentlicht in den Fachzeitschriften «Science» und «Science Immunology», warten nun mit wichtigen Erkenntnissen auf, wie die NZZ kürzlich berichtete.

An den Masern entzündet sich regelmäßig der Streit zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern. Das liegt daran, dass die Infektionskrankheit in unseren Breitengraden als nicht so gefährlich angesehen wird. Aus globaler Perspektive sind die Masern aber eine häufige Todesursache. So sterben laut der Weltgesundheitsorganisation jedes Jahr mehr als 100 000 Personen daran, mehrheitlich Kinder unter fünf Jahren. Und dies, obwohl es seit den 1960er Jahren eine wirksame Schutzimpfung gibt.

In den beiden erwähnten Studien haben Wissenschaftler das Blut von Kindern untersucht, die einer religiösen Gemeinde in den Niederlanden angehören. Die Mitglieder lassen ihre Sprösslinge nicht impfen, willigten aber in die Tests der internationalen Forschergruppen ein. Diese untersuchten das Blut vor und nach einem lokalen Masernausbruch.

Wie erwartet, infizierte das Masernvirus bei den Kindern die weißen Blutzellen. Weil diese Zellen Teil des Immunsystems sind, führt ihr Absterben – das kann man im Labor messen – zu einer akuten Immunschwächung. So viel wusste man bereits. Auch, dass die Zahl der Immunzellen mit der Genesung rasch wieder ansteigt.

Wenn die Kinder nun aber trotzdem für Jahre anfällig für andere Infektionen bleiben, muss es weitere Gründe für die Immunschwäche geben. Auf der Suche nach einer Erklärung wurden die Forscher der Harvard School of Public Health in Boston, USA, bei den Antikörpern fündig. Mit diesen Eiweißstoffen bekämpft der Organismus gefährliche Viren und Bakterien.

Mit einem neuen molekularbiologischen Instrument (VirScan) konnten in den Blutproben der Kinder die Antikörper quantitativ gemessen und Tausenden von verschiedenen Viren zugeordnet werden. Den so identifizierten Pathogenen musste das Immunsystem schon einmal begegnet sein. Es hatte gegen die Eindringlinge spezifische Antikörper bereitgestellt, um bei einem erneuten Wiedersehen vorbereitet zu sein. Dieses Schutzsystem wird nun allerdings durch das Masernvirus torpediert. Denn wie gezeigt werden konnte, schrumpfte das Repertoire der Antikörper bei den Kindern nach der Masernerkrankung um 11 bis 73 Prozent. Die Forscher bezeichnen das Phänomen als Immunamnesie: Der Körper hat vergessen, wie er auf bekannte Krankheitserreger reagieren muss. Bei Kindern, die eine Masernimpfung erhalten hatten, ließ sich keine solche Immunamnesie nachweisen. Die NZZ berichtet im Weiteren darüber, das auch die Frage beantwortet wurde, wie es dem Masernvirus gelingt, das Antikörperrepertoire zu vernichten?

Die daraus folgenden Implikationen für die öffentliche Gesundheit sind groß, so ein Infektiologe vom Kinderspital Zürich. Die Masernimpfung sei nicht nur für die Kontrolle des Masernvirus von zentraler Bedeutung, sondern auch für den Erhalt einer Immunität gegen andere Pathogene. Wichtig insbesondere in Entwicklungsländern, wo die Masern vielerorts häufig seien und die Menschen oft auch noch mit anderen Krankheitserregern infiziert seien. Hier sei der Nutzen der Masernimpfung wahrscheinlich noch grösser, als man bisher angenommen habe.

Quelle: NZZ Digital Bild: pixabay