Verständlich, aber noch nicht klinisch erforscht

Medienberichte über Methadon als Medikament gegen Krebstumore werden derzeit stark diskutiert. Das große öffentliche Interesse an dazu von populären TV-Magazinen gesendeten Beiträgen hält an. Auch in den Mitglieder-Praxen des Recklinghäuser Arztnetzes RANIQ sprechen Patienten das Thema vermehrt an. Das Interesse ist verständlich. Menschen mit solchen Erkrankungen knüpfen daran schnell neue Hoffnungen. Wir finden es aber äußerst bedauerlich, wenn das voreilig gepusht wird und sich später als unrealistisch erweist. Herbe Enttäuschungen sind dann oft unvermeidbar.

Die Medien stellen gern die Forschungsergebnisse vielversprechend dar und rücken sie entsprechend in den Vordergrund. Weniger deutlich wird auf die relativierenden Einschränkungen hingewiesen. Auch im aktuellen Fall, haben die Wissenschaftler selbst sehr klar und mehrfach betont, dass diese therapeutische Anti-Tumor-Wirkung von Methadon noch intensiv klinisch erforscht werden muss, bevor es möglich ist, Krebspatienten damit breit in der Praxis helfen zu können.

Generell positive Wirkung nicht bewiesen

Eine Tumorzelle ist nur schwer zu zerstören. Oft prallen Chemotherapeutika an ihr ab und machen sie resistent. Methadon kann diesen Abwehrmechanismus der Krebszellen stoppen. Es heftet sich an die Tumorzellen und sorgt dafür, dass weitere Schleusen geöffnet werden, durch die auch das Chemotherapeutikum tief in die Zelle eindringen kann. Die Folge: die Zelle stirbt.

Allerdings ist auch Skepsis angebracht, denn eine generell positive Wirkung ist bisher nicht bewiesen. Noch fehlen klinische Studien, die allein einen Einsatz des Schmerzmittels in der Krebstherapie rechtfertigen könnten. Auch Nebenwirkungen sind zu wenig untersucht. Die Frage ist demnach: Warum gibt es bislang keine derartigen Studien? Immerhin ist die Wirkung der Substanz auf Krebszellen- zumindest im Labor – doch seit Jahren bekannt.
Dr. Claudia Friesen von der Universität Ulm hatte vor 10 Jahren in ihrem Labor die Entdeckung gemacht, dass Leukämiezellen unter der Gabe von Methadon sterben – und dass Methadon als Wirkverstärker der Chemotherapie dienen kann.

Bisherige Therapie entfällt nicht

Live in der Sendung Stern TV diskutierten kürzlich Frau Dr. Friesen sowie der Allgemein- und Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher, der bereits Erfahrungen in der Methadonanwendung hat, mit dem Kritiker Prof. Dr. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg. Neurologe und Onkologe Prof. Wick sagte allerdings: „Methadon ist potenziell reich an unerwünschten Nebenwirkungen. Hohe Erwartungen sind unangebracht.“

Er warnte davor, für den Einsatz von Methadon in der Krebstherapie – wie derzeit schon – Werbung zu machen. Die Berichte von Krebspatienten, denen mit Methadon geholfen wurde, seien „kritisch zu betrachten“, so Wick, der auch Sprecher der neuroonkologischen Arbeits-gemeinschaft ist. „Um Methadon flächendeckend einzusetzen, fehlt die Grundlage.“
Claudia Friesen betonte, dass Methadon lediglich als Verstärker der Chemotherapie wirke. „Keiner der Patienten verzichtet dadurch auf irgendeine Therapie.“

Hans-Jörg Hilscher unterstützte ihre Argumentation und kritisierte ein Rundschreiben der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, in dem seiner Meinung nach unzutreffende Studien zitiert würden – eine andere Studie aus der gleichen Zeit über die positiven Wirkweisen des Schmerzmittels auf die Lebenserwartung aber bewusst nicht genannt würde

Noch intensive Forschungsarbeiten notwendig

Die „Stiftung Deutsche Krebshilfe“ hatte bereits 2014 über die jetzt öffentlich breitdiskutierte Wirkung der parallelen Methadonzugabe berichtet, allerdings nicht ohne deutlichen Hinweis auf die notwendige und langfristige klinische Verifizierung: „Die Zugabe von Methadon verstärkt die Wirksamkeit der Chemotherapie um bis zu 90 Prozent. Die Ergebnisse des Projekts, das die Deutsche Krebshilfe mit 299.000 Euro gefördert hat, werden die Forscher nun in klinischen Studien untersuchen. Bis dahin ist aber noch weitere umfangreiche Forschungsarbeit notwendig.“

Dazu passend meldete auch die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. jüngst, dass Anfang Juni eine Studie zu Methadon bei Hirntumorpatienten beantragt wurde. Die Genehmigung erhoffe man sich bis zum Herbst. Sollte die klinische Studie gestartet werden können, rechnen Beteiligte damit, dass in etwa drei Jahren seriöse Daten für die Therapie vorliegen könnten.

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) nahm die Berichterstattungen unter anderem des Politmagazins Plusminus am 12. April 2017 derweil erneut zum Anlass, um auf die unzureichende Datenbasis hinzuweisen und vor den Risiken unkontrollierter Off-Label-Anwendung von Methadon zu warnen. Es sei nicht klar, ob günstige Therapieverläufe tatsächlich durch Methadon verursacht wurden, heißt es beispielsweise in der DGHO-Stellungnahme sowie in der Stellungnahme der Medizinischen Fakultät einer Universität Ulm.

NOA erwägt klinische Studie

„Aus Sicht der Neuroonkologische Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft (NOA) entwickelt sich das Thema, vor allem durch die unkritische Popularisierung der Daten, zu einer Herausforderung für die leitliniengerechte Therapie der Patienten“, sagt der Sprecher der NOA, Wolfgang Wick, Direktor der Neurologischen Klinik in Heidelberg, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Aus diesem Grund hält er die Durchführung einer klinischen Studie trotz der dünnen Faktenbasis für gerechtfertigt. „Um endlich belastbare Daten zur Verfügung zu stellen, berät der Vorstand der NOA derzeit darüber, eine solche Studie unabhängig von Pharmaunternehmen durchzuführen“, sagt Wick.

 

DGHO-Information für Patienten

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Rundmail DGP (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin)

DGP rät vom Einsatz von Methadon zur Tumortherapie ab.

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